Ein jugendliches Mädchen sitzt alleine und betrübt auf dem Boden.

Wenn Jugendliche zu Alkohol und Medikamenten greifen

Grenzen testen, Probleme vergessen oder einfach nur Neugier: Es gibt viele Gründe, warum Jugendliche zu Alkohol oder Medikamenten greifen. Doch oft kennen sie die Risiken und Folgen nicht. Dr. med. Silvia Dehler, Amtsärztin beim Amt für Gesundheit im Fürstentum Liechtenstein, über Alkohol- und Medikamentenmissbrauch bei Jugendlichen. 

   Kurz und einfach

Jugendliche trinken manchmal Alkohol.
Einige nehmen dazu auch Medikamente.
Das ist sehr gefährlich.
Ein offenes Gespräch mit den Jugendlichen hilft.
So lernen sie die Gefahren kennen.

Dr. Dehler, wie verbreitet ist Alkohol- und Medikamentenmissbrauch bei Jugendlichen?

Dr. med. Silvia Dehler: Es ist eine Herausforderung, in diesem Bereich an verlässliche Zahlen zu kommen, da der Missbrauch meist im Verborgenen stattfindet. Die letzte Schülerstudie zu legalen und illegalen Drogen, Medikamenten sowie Neuen Medien in Liechtenstein liegt schon einige Jahre zurück. Im Jahr 2024 wurde eine weitere Umfrage durchgeführt. Mit der Veröffentlichung der Resultate wird Ende 2025 gerechnet. Daher muss man sich zur Einschätzung der Lage auf weitere Faktoren abstützen wie die Inanspruchnahme von Beratungsdiensten, Polizeimeldungen oder die Situation im benachbarten Ausland. So haben in letzter Zeit insbesondere Medienberichte über den Mischkonsum von Medikamenten, oft in Kombination mit Alkohol, Aufmerksamkeit erregt. Viele dieser Substanzen sind leicht zugänglich: direkt zu Hause aus dem Apothekenschrank oder der Alkoholbar, über Online-Bestellungen, im Freundeskreis oder auf dem Schwarzmarkt.

Warum greifen Jugendliche zu Alkohol und Medikamenten?

Dr. med. Silvia Dehler: Befragungen in der Schweiz haben gezeigt, dass Jugendliche meist privat konsumieren, entweder vor dem Ausgang oder bei einer privaten Party. Doch auch die Selbstmedikation bei Prüfungsstress, Unsicherheit sowie Ängstlichkeit ist nicht zu unterschätzen. Zudem gibt es Hinweise, dass soziale Medien und gewisse Musikstilrichtungen Jugendliche stark beeinflussen können. Daher werden auch Medikamente missbräuchlich konsumiert, die auf das Aussehen eine Wirkung haben wie Abführmittel und Diabetesmittel zur Gewichtskontrolle oder Anabolika zum Muskelaufbau.

Welche Risiken sind damit verbunden?

Dr. med. Silvia Dehler: Jugendliche wissen oft nicht, wie gefährlich der Mischkonsum von Substanzen ist. Die verschiedenen Stoffe können sich gegenseitig verstärken und rasch zu einer Überdosierung führen. Wenn man zum Beispiel Benzodiazepine oder Opioide, also Beruhigungs- oder Schmerzmittel, eventuell in Kombination mit Alkohol einnimmt, kann dies die Risikobereitschaft erhöhen. Dieses neue Gefühl verleitet möglicherweise dazu, weiter zu konsumieren. Am Ende kann dies zu Bewusstlosigkeit, verlangsamter Atmung und bis zum Tod führen. Neben diesen akuten Ereignissen im Falle einer Überdosierung sind bereits nach einem Konsum von wenigen Wochen Abhängigkeitssymptome feststellbar. Psychische Veränderungen wie erhöhte Risikobereitschaft aber auch Antriebslosigkeit sowie körperliche Entzugserscheinungen treten auf. Dazu kommen Probleme mit dem sozialen Umfeld.

Wie können Eltern ihre Kinder aufklären?

Dr. med. Silvia Dehler: Bereits ab dem Kindergartenalter ist eine Aufklärung möglich, wenn sie altersgerecht erfolgt. Die Aufklärung muss sich vor allem in der Familie individuell am Kind orientieren. Gibt es vielleicht eine spezifische Situation im persönlichen Umfeld? Was will das Kind wissen? Um situations- und altersgerecht vorzugehen, ist es wichtig, dass Bezugspersonen die Bedürfnisse und Reaktionen des Kindes aufmerksam beobachten. Am wichtigsten ist jedoch die Vorbildfunktion der Eltern. Denn Kinder ahmen erwachsene Bezugspersonen nach. Daher sollten Eltern auf ihr eigenes Verhalten achten, sich offen mit ihren Kindern über dieses Thema austauschen und eine klare und kritische Haltung vermitteln.

Wie können Eltern reagieren, wenn sie merken, dass im Umfeld des Kindes konsumiert wird – oder wenn das Kind selbst konsumiert?

Dr. med. Silvia Dehler: Wichtig ist es, mit dem Kind im Gespräch zu bleiben. Je nach Situation ist es erforderlich, Beratungsleistungen und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Was wird an den Schulen gemacht, um die Kinder aufzuklären?

Dr. med. Silvia Dehler: Schulen und insbesondere die Schulsozialarbeit leisten einen relevanten Beitrag, Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern für dieses Thema zu sensibilisieren. Neben der Aufklärung ist es wichtig, bestimmte Lebenskompetenzen wie Stressbewältigung zu stärken. Dies ist ein wichtiger Pfeiler zur Prävention von Alkohol- und Medikamentenmissbrauch.

Wie kann man Jugendliche zusätzlich schützen?

Dr. med. Silvia Dehler: Der steigende Leistungsdruck und die Zunahme von psychischen Problemen sind eine besorgniserregende Entwicklung unserer konsumgesteuerten Gesellschaft. Daher muss auf mehreren Ebenen der psychischen Gesundheit Sorge getragen werden. Die Förderung eines gesunden Lebensstils, der gesunde Ernährung, ausreichend Bewegung und genügend Entspannung beinhaltet, sollte bereits Kleinkindern vorgelebt werden. Im frühen Lebensalter erworbene Fähigkeiten werden leichter zur Routine und können als Stütze in Lebenskrisen dienen. Ebenso ist auf optimale Rahmenbedingungen in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu achten.

Was genau ist damit gemeint?

Hier ist in erster Linie das familiäre und persönliche Umfeld gemeint, das Kindern und Jugendlichen die notwendigen Freiheiten und Förderungen gewährt, aber auch gleichzeitig die Grenzen aufzeigen soll. Wichtig ist das «Hinschauen», wenn es nicht optimal läuft und Kinder und Jugendliche Unterstützung brauchen. Kann diese Unterstützung nicht mehr von der Familie oder dem Freundeskreis geleistet werden, sollten ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen, um Kinder und Jugendliche professionell zu begleiten, wenn dies erforderlich ist. Hierfür gibt es verschiedene Beratungsangebote auf niederschwelliger Ebene. Ebenso sind der Hausarzt oder die Hausärztin eine gute Anlaufstelle.

Die Kernbotschaft ist: Tragen wir Sorge für eine gesunde Entwicklung für unsere Kinder und Jugendlichen. Wenn nötig, gibt es Hilfe und Unterstützungsmöglichkeiten. Niemand wird allein gelassen.

Silvia Dehler ist Amtsärztin am Amt für Gesundheit im Fürstentum Liechtenstein.
Dr.med. Silvia Dehler ist Amtsärztin am Amt für Gesundheit im Fürstentum Liechtenstein.